Kriegsfilm wie kein anderer?
Stärken hat Regisseur Christopher Nolan als Filmemacher viele. Eine dieser Stärken liegt darin, bekannten Inhalten oder Genres einen neuen erzählerischen Dreh zu geben. Denn heutzutage ist es schwierig, eine Geschichte zu erzählen, die das Publikum noch nicht kennt. Der Knackpunkt ist nicht: Was wird erzählt, sondern wie wird etwas erzählt? Der Zweite Weltkrieg wurde bereits hinlänglich – und auch angemessen – im Kino aufgearbeitet. Die Darstellung der Grausamkeit des Krieges in „Der Soldat James Ryan“ z.B. prägt Kriegsfilme bis heute und der im selben Jahr erschienene (1998) „Der schmale Grat“ erzählt ohne viele Erklärungen vom Kriegsgeschehen in Japan. Letzterer setzt außerdem Akzente durch einen der erinnerungswürdigsten Soundtracks der Filmgeschichte.
Nun wagt sich also auch Nolan an das Genre der Kriegsfilme und zeigt in eindrucksvollen Bildern ein vollkommen isoliertes Ereignis im Tumult des Krieges: Die Evakuierung britischer und französischer Soldaten aus dem im besetzten Frankreich liegenden Dünkirchen (engl.: Dunkirk). Nach eigenen Aussagen hat Nolan Dünkirchen vor Jahren besucht und war fasziniert von ebenjener Evakuierungsgeschichte. Verfilmen wollte er sie schon lange, jetzt hatte er die geeigneten Ressourcen dazu.
Es ist die Isoliertheit der Erzählsituation, die Spannung erzeugt und dafür sorgt, dass der Film neben den eben genannten Genre-Konsorten für sich alleine stehen kann. Die erzählerische Form unterstützt zudem gleichzeitig die sprichwörtliche Isolation der eingekesselten Soldaten und macht dieses Gefühl somit gekonnt für den Zuschauer greifbar. Dass außerhalb von Dünkirchen ein alles vernichtender Krieg geführt wird, ist nicht entscheidend. Alles was für uns als Zuschauer zählt, ist die Prämisse: Deutsche Truppen rücken dem Strand von Dünkirchen immer näher, während feindliche Kampfbomber die Evakuierung auf See erschweren.
Um diese Situation zu schildern, braucht der Film nur wenige Worte. Während in vorangegangenen (wenn auch komplexeren) Werken wie „Inception“ oder „Interstellar“ bestimmte Figuren vor allem existieren, um den Plot zu erläutern, geschieht dies in „Dunkirk“ oftmals nur durch die Handlungen der Charaktere und deren stillschweigenden Abmachungen untereinander. In dieser Hinsicht gehört „Dunkirk“ also zu den besseren Filmen von Nolan. Neben dem Abbilden eines in sich geschlossenen Ereignisses bedient sich der Film eines weiteren (Nolan-typischen) erzählerischen Kniffs, der hier nicht vorweggenommen werden soll, der aber während des Sehens für ein kleines Aha-Erlebnis sorgen wird.
Erzählung im Nolan-Stil mit wenigen Schwächen
Insgesamt gibt es in „Dunkirk“ vier Erzählstränge, die nebeneinander verlaufen und erst im letzten Akt aufeinandertreffen. Am interessantesten ist dabei wohl die Geschichte der am Strand von Dünkirchen gefangenen Bodentruppen. Insbesondere die beiden Newcomer Fionn Whitehead und Aneurin Barnard machen eine gute Figur; die unausgesprochene Freundschaft der Leidensgenossen entwickelt sich „live“ auf der Leinwand und sorgt mühelos für einige der tollsten Momente im Film. Die Geschichte zweier britischer Kampfpiloten (u.a. gespielt von Tom Hardy) bringt hingegen schnell das Blut zum Kochen, wenn man bei den kraftvoll inszenierten Flug- und Kampeinlagen automatisch ins Mitfiebern gerät.
Christopher Nolan hat bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass er gerne mithilfe aller Sub-Plots auf eine große Klimax am Ende hinarbeitet. Auch „Dunkirk“ bildet in diesem Punkt keine Ausnahme. Erreicht wird diese Spannungsbogen durch das stetige, gezielte Ansprechen von starken Emotionen. Kein Wunder, ist doch die Klimax selbst emotionaler Natur und baut auf äußerst menschliche Gefühle wie Angst, Zusammenhalt und Erlösung auf. Für einen solche Moment sorgt etwa Tom Hardys Pilot, wenn er im Flugzeug über den Strand hinwegfegt, um die eigenen Truppen vor dem Feind zu schützen.
Unterstützend wirkt in diesen Augenblicken dann auch immer der tolle Soundtrack von Hans Zimmer (übrigens auch verantwortlich für die Musik in „Der Schmale Grat“). Ohnehin unterstreicht der Soundtrack perfekt das Geschehen auf der Leinwand, auch wenn einige Zimmer-typische, akustische Elemente an manchen Stellen fehl am Platz wirken.
Nur in wenigen Ausnahmen gelingen Nolan diese Gänsehaut-Momente nicht; dann wirkt die emotionale Belohnung zu konstruiert und damit zu gewollt. Das konnte ein „Inception“ oder ein „Interstellar“ ein wenig besser.
Technisch erhaben
Cineasten kommen – wie erwartet – voll auf ihre Kosten. Wieder einmal wurde bei Dunkirk auf Film gedreht. Zudem wurde der Großteil des Materials mit den schweren, unhandlichen IMAX-Kameras gefilmt (->). Wer die Möglichkeit hat, sollte sich den Film also im IMAX ansehen, weil sich die spektakulär in Szene gesetzten Kriegsschauplätze mit zahllosen Statisten dafür anbieten. Insbesondere die bereits erwähnten Luftgefechte sind tadellos gefilmt und sind dank geringem Einsatz von CGI so mitreißend wie nur in wenigen anderen Filmen. In Momenten wie diesen merkt man, das Nolan und sein Kameramann Hoyte van Hoytema (mit dem er auch schon in „Interstellar“ zusammengearbeitet hat) Meister ihres jeweiligen Fachs sind.
Das Colorgrading des Films ist gewollt unterkühlt – wie so oft in Nolan-Filmen – wirkt aber im Fall von Dunkirk etwas zu blau. Zwar ist die Verwendung von Farbe enorm wichtig zur Schaffung von Atmosphäre und sowieso Geschmackssache, dennoch sind Nolans Werke bis jetzt immer recht naturgetreu in der Abbildung der Realität gewesen. Hier wurde etwas zu tief in der digitalen Farbpalette gewühlt. Hoffen wir also, dass Nolan in dieser Hinsicht bei seinem nächsten Film einen Schritt zurückgeht.
Instant Classic
Dunkirk reiht sich nahtlos in Christopher Nolans herausragende Filmografie ein und könnte problemlos der Kriegsfilm der aktuellen Dekade schlechthin sein. Der Mehrwert, den der Zuschauer hier mitnimmt, liegt zum einen darin, dass er eine bis dato eher unbekannte Kriegsgeschichte erlebt. Zum anderen ist es und wird es immer wichtig sein, dass Filme uns die Grausamkeit des Krieges und deren Ausmaß immer wieder vor Augen führen. Wenn wir uns als Zuschauer im Nachhinein ehrlich die Frage stellen, wie sich Menschen so etwas jemals gegenseitig antun konnten, dann hat ein Kriegsfilm bzw. Anti-Kriegsfilm vieles richtig gemacht.
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